14. Oktober 2018
Die Verwaltungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz digitalisieren sich zu langsam, meint Avenir Suisse. In einer Länderanalyse stossen die Autor(inn)en zum Beispiel auf ein tiefes Misstrauen der deutschen Bevölkerung gegenüber der Verwaltung und auf einen Mangel an rechtlichen Grundlagen in der Schweiz.

„Die von Max Webers Bürokratiemodell geprägten“ Verwaltungen der sog. DACH-Länder (Deutschland, Österreich und Schweiz) „tun sich wer in der Adaption ans 21. Jahrhundert“. Ausgehend von dieser provokativen These hat der Think Tank „Avenir Suisse“ eine Studie zum eGovernment in den DACH-Ländern publiziert. „Max Weber in der Digitalisierungsfalle?“, lautet der Titel dieser Publikation.

 

Orientierung an der Tallinn-Deklaration

Die Untersuchung orientiert sich an den Zielen und Handlungsfeldern der Tallinn-Deklaration, die auch die Schweiz unterschrieben hat. Die Handlungsfelder lauten „Digital by Default“, „Inklusion und Zugänglichkeit“, das Prinzip «Once Only», Vertrauenswürdigkeit und Sicherheit, Offenheit und Transparenz, Interoperabilität by Default und Horizontale Befähigungsaktivitäten / Basisbefähigungen. Anhand dieser Handlungsfelder untersucht die Studie die Situation in den drei Ländern. Sie stützt sich dabei auf wichtige internationale Studien wie zum Beispiel den „E-Government-Survey“ der UNO. Sie erarbeitet so für jedes Land konkrete Handlungsempfehlungen.

Insgesamt erreichten alle drei Länder in den internationalen eGovernment-Studien nur teilweise befriedigende Ergebnisse, auch wenn sich gerade in den letzten Jahren gewisse Verbesserungen abzeichnen. Die Autor(inn)en räumen ein, dass einer der Gründe für das schlechte Abschneiden auch war, dass die Studien das eGovernment in den Gemeinden kaum einbezogen. Die Verbesserungen, etwa in der Studie der UNO, basieren auch darauf, dass der Studienansatz den förderalen Staaten nun besser gerecht wird. Doch es gibt noch andere Hindernisse, wie die Autor(inn)en feststellen.

 

Zu langsam

Auffällig ist zum Beispiel die tiefe Zufriedenheit der Bevölkerung mit den digitalen Verwaltungsangeboten, ganz besonders in Deutschland. Das hat damit zu tun, dass die Privatindustrie die Bedienungsfreundlichkeit ihrer Online-Angebote in hohem Tempo laufend verbessert. Auch wenn die staatliche Administration hier Verbesserungen erzielt, bleibt sie dabei doch hinter der Privatwirtschaft und den durch sie geprägten hohen Erwartungen der Bevölkerung zurück.

Ein weiteres Problem sehen die Autor(inn)en darin, dass viele Mitarbeitende der Verwaltung zu wenig überzeugt sind von der Dringlichkeit des digitalen Wandels. Das Bewusstsein für Problemlösungsstrategien aus der Informatik müsse erst noch aufgebaut werden. Auffällig ist aber auch, dass vorhandene Angebote oft zu wenig genutzt werden. eGovernment-Angebote brauchen auch ein ausreichendes Marketing.

 

Deutsches Misstrauen

Neben solchen eher geläufigen Erkenntnissen erarbeiten die Autor(inn)en in den Länderstudien auch einige exklusivere Befunde. In Deutschland zum Beispiel zeigt sich, dass die Bevölkerung zum Teil an vorhandenen Angeboten interessiert ist und diese auch kennt, sie aber doch nicht nutzt. Was hindert die Menschen an der Nutzung der Angebote? Ein Hindernis könnte das fehlende Vertrauen sein, wie sich zeigt. Die Angst vor dem „gläsernen Bürger“ ist in Deutschland stark ausgeprägt. Mit dem „Once-only“-Prinzip der Tallinn-Deklaration, also der zwischenstaatlichen Weitergabe einmal gemeldeter Daten durch die Verwaltung, sind nur 12 Prozent der deutschen Internet-Nutzer/-innen einverstanden. Die Weitergabe innerhalb des Landes befürwortet rund ein Drittel.

Gerade auch die Nutzung der elektronischen Identitätsmittel lehnen Deutsche aus Datenschutzgründen ab. Das ist bemerkenswert. Während Strategen davon ausgehen, dass die eindeutige Identifikation die Datensicherheit fördere, traut die Bevölkerung den Datenschutzvorkehrungen der Verwaltung zu wenig, um ihr ihre Identität bekannt geben zu wollen. Ob hier dunkle Erinnerungen an vergangene Staatsverfehlungen mitspielen, wird nicht untersucht.

 

Rechtliche Unklarheit

Für die Schweiz hält der Bericht fest: „Häufig sind es nicht technische Probleme, sondern rechtliche und politische Überlegungen, die effiziente Lösungen verhindern.“ Das Once-only-Prinzip zum Beispiel verlange nicht nur standardisierte Schnittstellen, sondern auch „eine rechtliche Grundlage“. Als Beispiel für eGovernment-Hindernisse nennen die Autor(inn)en die Datenschutzbedenken gegen die Nutzung der AHV-Nummer, die sie offenbar als nicht gerechtfertigt erachten.

Ein weiteres Hindernis für die eGovernment-Entwicklung sehen die Autor(inn)en im Subsidiaritätsprinzip: Dienstleistungen sind in der Schweiz auf der tiefstmöglichen Ebene zu erbringen, also wenn sinnvoll durch die Gemeinde. Es werde befürchtet, dass das eGovernment die Zentralisierung fördere. Dabei könnte das eGovernment aus Sicht der Autor(inn)en auch gegenläufige Entwicklungen ermöglichen, meint Avenir Suisse.

 

Digitales Bildungsdefizit

Auch im Bildungsbereich sehen die Autor(inn)en in der Schweiz ein mögliches Hindernis. Die Kantone hätten es „verpasst, Informatikunterricht in den Gynmasien und Volksschulen rechtzeitig einzuführen“. „Kein Wunder zählen die Schweiz nicht zu den Bürgern Europas mit den besten digitalen Fähigkeiten“, konstatiert Avenir Suisse.

Nachdem nun das Bildungsdefizit durch das neue Maturitätsgesetz und den Lehrplan 21 behoben werden dürfte, verblieben weiterhin rechtliche und kulturelle Hindernisse: „Verwaltungen bedürfen der rechtlichen Voraussetzungen, um bessere Informationsplattformen und eine Kultur der Kooperation zu schaffen“, fordert die Studie. „Onlinedienste müssen aus Kundensicht gedacht und in eine einheitliche Strategie eingefügt werden.“

 

Mehr Informationen:

Avenir Suisse, Institut der deutschen Wirtschaft, Industriellenvereinigung Österreich: Max Weber in der Digitalisierungsfalle?, September 2018

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